Prof. Dr. Katja Schlosser über Vernetzung: „Junge Chirurginnen brauchen Vorbilder!“

4 Februar, 2021 - 07:38
Stefanie Hanke
Prof. Dr. Katja Schlosser
Prof. Dr. med. Katja Schlosser ist Präsidentin des Vereins „Die Chirurginnen e.V.“.

Junge Frauen studieren häufiger Medizin als ihre männlichen Altersgenossen. Aber auf dem Chefarztsessel sucht man Ärztinnen häufig noch vergebens – vor allem in der Chirurgie. Das Netzwerk „Die Chirurginnen“ will Frauen nun eine Plattform bieten, um sich besser zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen. Warum das so wichtig ist, erklärt Chefärztin und Vereinspräsidentin Prof. Dr. Katja Schlosser im Interview.

Heutzutage studieren mehr Frauen als Männer Medizin. In der Chirurgie sind sie trotzdem immer noch deutlich in der Minderheit – zumindest, wenn es um Ober- und Chefärztinnen geht. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Prof. Dr. Katja Schlosser: Unter der Assistentenschaft in der Chirurgie ist das Geschlechterverhältnis oft ausgeglichen, oft gibt es sogar mehr Frauen als Männer. Frauen werden aber häufig anders behandelt als Männer. Ich habe noch nie eine Führungsperson einen männlichen Assistenten mit Mäuschen, Liebchen oder anderen Verniedlichungen anreden hören, andersherum aber oft. Wehrt sich eine Frau dagegen, gilt sie als zickig und muss befürchten, die „Gunst“ zu verlieren, dass ihr etwas beigebracht wird.  Viele Frauen schweigen in solchen Situationen lieber. Für das „Mäuschen“ ist es später dadurch nicht einfacher, sich Respekt unter dem übrigen Personal zu verdienen. Das erschwert den Weg nach oben.

Welche Rolle spielt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Prof. Dr. Katja Schlosser: Die Zeit, in der „Mann“ sich mit Facharztprüfung, Forschung und anderen Schritten auf der Karriereleiter beschäftigt, kollidiert bei Frauen oft mit Schwangerschaft und Elternzeit. Frauen müssen kämpfen, damit sie in der Schwangerschaft weiteroperieren können und leisten noch immer den Löwenanteil der Kinderbetreuung. Gibt eine Frau dem gesellschaftlichen Druck nach, der von einer Frau fordert, sich rund um die Uhr um den Nachwuchs zu kümmern, ist ein Weiterkommen in der Chirurgie schwierig. Viele Frauen springen nach der Facharztweiterbildung ab, wandern in fachfremde Gebiete oder lassen sich in einer Praxis nieder. So gehen sie der Chirurgie in den Kliniken verloren.  Außerdem haben Frauen in der Medizin – speziell in der Chirurgie – einfach noch zu wenige Vorbilder, an denen sie sich orientieren können, wenn sie nach oben wollen.

Warum sind Vorbilder so wichtig?

Prof. Dr. Katja Schlosser: Es hilft sehr, in bestimmten Situationen andere Frauen fragen zu können, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Frauen kommunizieren anders als Männer. Es ist für jede Frau leichter, wenn sie versteht, dass sie mit ihren männlichen Kollegen Klartext sprechen muss. Dass es in Ordnung ist „nein“ zu sagen, dass man über alle Bedingungen verhandeln kann und dadurch auch mehr Anerkennung für seine Leistungen bekommt. Mir selbst ist das leider erst spät bewusstgeworden. Und vor allem: wie man das macht! Mit Aggressivität und Druck kommt niemand vorwärts, auch kein Mann. Auch das Organisieren von Familie und Beruf kann leichter umgesetzt werden, wenn es dafür Vorbilder gibt. Wie hast du deine Schwangerschaft erlebt? Wann bist du nach der Geburt wieder in den Beruf zurückgekommen? Wie hast du die Kinderbetreuung organisiert? Das muss man ja andere Frauen fragen – die Männer kennen diese Situationen leider oft nicht, auch wenn sich das in Zukunft hoffentlich ändert.

Was haben Sie selbst für Erfahrungen gemacht?

Prof. Dr. Katja Schlosser: Ich bin jetzt 49 Jahre alt. Als ich Assistenzärztin war, gab es an meiner damaligen Klinik keine Chirurginnen, die während der Schwangerschaft weiterarbeiteten. Ich habe weitergearbeitet, weil ich zeigen wollte, das eine Schwangerschaft und das spätere Muttersein mit der Chirurgie vereinbar sein können. Ich hatte das Gefühl, dies den nachfolgenden Generationen schuldig zu sein. Ich durfte zwar nicht mehr operieren, konnte aber in anderen Bereichen weiterarbeiten, wo mein Wissen gefragt war. Aber mir hat damals ein entsprechendes Vorbild gefehlt. Und zu dieser Zeit gab es nur Ärztinnen mit Kindern, die aber keine Karriere machten, oder solche, die zwar Oberärztin waren, aber deshalb auf die Familie verzichtet hatten.

Damit Frauen in der Chirurgie Vorbilder und Unterstützerinnen finden, haben Sie jetzt das Netzwerk „Chirurginnen e.V.“ gegründet. Was wollen Sie damit erreichen?

Prof. Dr. Katja Schlosser: Uns ist es wichtig, dass wir uns mit diesem Netzwerk nicht gegen irgendetwas richten. Bei Männern gibt es solche Netzwerke schon lange. Frauen unterstützen sich gegenseitig nicht genug auf ihrem Weg nach oben – das beschreibt unter anderem auch die Herzchirurgin Dilek Gürsoy in ihrem Buch. Wir wollen ein Netzwerk sein, in dem Frauen lernen, Synergien zu entwickeln, sich gegenseitig zu helfen und in dem sie untereinander Erfolge, Sorgen und Nöte teilen können. Wir Chirurginnen haben bislang viel zu wenig Networking betrieben. Offensichtlich haben viele Kolleginnen auf so ein Netzwerk gewartet: Schon in den ersten sechs Wochen sind über 300 Chirurginnen zusammengekommen, die miteinander arbeiten, sich austauschen und gemeinsame Projekte angestoßen haben. Ich frage mich im Moment, wie wir so lange haben ohne ein solches Netzwerk auskommen konnten und warum wir nicht viel früher auf so eine Idee gekommen sind. 

Wie ist die Idee für das Netzwerk entstanden?

Prof. Dr. Katja Schlosser: Ich habe schon 2012 ein Chirurginnen-Netzwerk auf Facebook und Xing gegründet. Eine Kommunikation, wie wir sie jetzt in unserem Verein haben, war darüber aber nicht möglich. Aus diesem alten Netzwerk ist im Dezember 2020 unser Verein entstanden – als deutschsprachige Variante der amerikanischen „Association of Women Surgeons“, die es schon seit 1981 gibt.

Wer sollte sich anschließen?

Prof. Dr. Katja Schlosser: Wir richten uns an alle Chirurginnen in Deutschland und auch an Studentinnen, die sich für die Chirurgie interessieren. Wir haben eigene Arbeitsgruppen für die Sozialen Medien und für Podcasts gegründet, um gerade die jüngere Generation besser zu erreichen. Fachlicher Informationsaustausch, Hilfe bei Prüfungsvorbereitung, alltäglichen Fällen oder Forschung stehen dabei genauso auf unserer Agenda wie das Umsetzen der Machbarkeit von Familie und Beruf. Gerade dieser Bereich ist in vielen Fachgesellschaften traditionell oft von Frauen besetzt. Unser Verein ist dafür da, Frauen gerade in den „frauenuntypischen“ Bereichen der Chirurgie den Rücken zu stärken. Um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dürfen sich unserer Ansicht nach gerne auch einmal die Männer einbringen.  

Sie bieten in Ihrem Netzwerk auch Mentoring an. Wie läuft das ab?

Prof. Dr. Katja Schlosser: In unserem Mentoring-Programm soll es nicht nur darum gehen, die eigene Persönlichkeit zu stärken und den Frauen zu helfen, sich besser zu vermarkten. Wir wollen Frauen begleiten, die habilitieren möchten oder die auf dem Weg zur Oberärztin und Chefärztin sind. Wir haben in unserem Verein genug Frauen, die das schon hinter sich haben. Und vielleicht kommen auch Frauen miteinander ins Gespräch, die ganz ähnliche Forschungsthemen haben – dann können sich Synergien entwickeln und gemeinsame Projekte umgesetzt werden. Eine Mentee bekommt dabei eine feste Mentorin an die Hand, und optimalerweise entsteht daraus eine lebenslange Bindung.

Welchen Schwierigkeiten begegnen Frauen, die sich in der Chirurgie um eine Chefarztstelle bewerben?

Prof. Dr. Katja Schlosser: Über die fehlenden Netzwerke haben wir ja schon gesprochen. Außerdem fehlen Bilder, wie eine Chefärztin in der Chirurgie sein sollte. Das ist beispielsweise ein Problem, wenn Sie zu einem Vorstellungsgespräch gehen. Die Auswahlkommissionen sind meist männlich besetzt. Das typische Beuteschema für eine Chefarztposition hat sich bislang nicht wirklich geändert, Chefarzt = Mann. Eine Bewerberin muss mit noch mehr Charisma, Können und Wissen überzeugen, um eine Kommission von einer weiblichen Besetzung zu überzeugen. Bewerber erfüllen oft das „Schema F“ bereits bei den Äußerlichkeiten. Bei Bewerberinnen gibt es nicht einmal einen Kodex für die „richtige Kleidung“ beim Bewerbungsgespräch. Auch wenn so ein Punkt eine Nebensächlichkeit ist, so spielt doch der erste Eindruck eines Bewerbers oder einer Bewerberin eine erhebliche Rolle für die spätere Entscheidung. Das ist definitiv ein Nachteil für Frauen, weil viele einer Frau die Führungsposition nicht zutrauen, auch wenn die Qualifikationen stimmen.

Was raten Sie jungen Kolleginnen, die in der Chirurgie Karriere machen möchten?

Prof. Dr. Katja Schlosser: Frauen müssen an ihrem Kommunikationsstil arbeiten und lernen, Klartext zu reden. Nicht nur im OP, sondern auch, wenn es um ihre eigenen Ziele und Pläne geht. In männerdominierten Berufen muss man Appelle so formulieren, dass sie auch verstanden werden. Das kann auf charmante Weise umgesetzt werden, aber eben trotzdem konkret. Zudem ist ein Ausbau des eigenen Netzwerkes ganz wichtig – zum Beispiel in unserem Verein. Aber natürlich braucht man hierzu nicht nur ein reines Frauennetzwerk – weshalb man sich auch in der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), deren Fachgesellschaften oder im Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC) engagieren sollte. Man sollte zum Netzwerken auch auf Kongresse gehen – das ist wichtig, damit man auch fachlich am Ball bleibt. Und: Die Chirurgie ist ein Handwerk – deshalb ist es gerade während der Ausbildung notwendig, regelmäßig im OP zu sein und sich trotz aller Teilzeitmodelle nicht auf die Station abschieben zu lassen. Neben aller fachlicher Qualifikation müssen Frauen auch an der eigenen Vermarktung arbeiten und lernen zu sagen: „Ich bin gut, und ich kann das“.
 


Zur Person:

Prof. Dr. med. Katja Schlosser ist Präsidentin des Vereins „Die Chirurginnen e.V.“. Sie ist Chefärztin der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Agaplesion Evangelisches Krankenhaus Mittelhessen in Gießen.

Der Verein:

Mehr Infos über den Verein „Die Chirurginnen e.V.“ finden Sie unter www.chirurginnen.com

 

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